Marbach am Neckar - Mit der Preisträgerin die Welt der Literatur entdecken
Sophie Holberg (Q2) sollte nicht zu bescheiden sein, denn sie gehört als einzige Schülerin einer Gesamtschule zu den Preisträgerinnen und Preisträgern des Essay-Wettbewerbs, den die Berkenkampstifung aus Essen alljährlich auslobt und an dem alle Oberstufenschülerinnen und -schüler aus Nordrhein-Westfalen teilnehmen können.
Auf ihren Essay zu dem Zitat der Philosphin Simone Weil "Ein Mensch, der sich etwas auf seine Intelligenz einbildet, ist wie ein Sträfling, der mit seiner großen Zelle prahlt", einem von drei in diesem Jahr zur Wahl stehenden Themen, kann Sophie wirklich stolz sein! Die Lektüre lohnt sich, der Text ist auf der Internetseite der Stiftung verlinkt: www.berkenkamp-stiftung.de.
Anna Orlich
Schillers Geburtshaus und das deutsche Literaturarchiv - mein Besuch in Marbach am Neckar" von Sophie Holberg
Liebe Mitschüler:innen,
vom 28.10 bis zum 31.10.2024 durfte ich Schillers Geburtsort, Marbach am Neckar, besuchen. Eine traumhaft schöne Altstadt, in der eines der größten Literaturarchive Deutschlands steht. Und alles, was ich dafür tun musste, war, meinen Senf zu einem von drei extrem spannenden Themen zu geben. Jeder, der mal losgelöst von Erwartungsbögen und Noten seinen Gedanken freien Lauf lassen will, sollte auch beim Essay-Wettbewerb oder beim Philosophischen Essay-Wettbewerb, teilnehmen. Nicht nur ist das Essay-Schreiben ein interessantes, sehr freies Handwerk, für die Gewinner:innen kommt auch noch etwas dabei rum. Beim Ersteren, dem Essay-Wettbewerb, der von der Berkenkampstiftung jedes Jahr für Schüler:innen der Oberstufe ausgeschrieben wird, erwartet die zehn besten Schreiber:innen eine Exkursion (man munkelt, nächstes Jahr geht es nach Frankfurt) mit tollen Erfahrungen, einem Seminar mit einem bekannten Schriftsteller oder einer bekannten Schriftstellerin, gutem Essen und (wenn man sich ganz an die Spitze schreibt) ein nicht außer Acht zu lassender Siegerpreis. Beim philosophischen Essay-Wettbewerb, in Kooperation mit der Josef Pieper Stiftung, erhalten 26 Essayschreiber:innen eine Einladung zum Bundesentscheid und zu Workshops an der philosophischen Winterakademie (den weiteren Verlauf und mögliche Preise findet ihr, wenn ihr dem zweiten Link folgt).
In diesem Beitrag möchte ich euch von meinen Erfahrungen in Marbach berichten und hoffe, mehr Schüler:innen der Gesamtschule Langerfeld zur Teilnahme zu motivieren. Es lohnt sich wirklich!
Wenn ich die Exkursion unter eine Leitfrage stellen müsste, wäre es: Wie weit kann uns unsere Vorstellungskraft tragen?
Sehr weit, wie wir, die Gewinner:innen des Essay-Wettbewerbs 2024, auf der Marbach-Exkursion erleben durften. Lockte uns der erste Abend gerade so zum Dinieren in ein Restaurant, keine zehn Minuten von unserer Unterkunft entfernt, führte uns der finale Mittwoch auf eine Reise durch die Vergangenheit, besonders durch Schillers Kindheit in Schillers Geburtshaus (inklusive 18.656 Schritten!).
Das Seminar mit dem deutschen Schriftsteller Christian Filips gab uns vorab einen Vorgeschmack auf die Reichweite, die Imagination erreichen kann, und nach gemeinsamer, intensiver Übersetzungs-arbeit wurde eine Sache deutlich: Gute Literatur veraltet nicht. Genauso, wie im Archiv nichts verstaubt.
Das Archiv durften wir am Mittwoch besichtigen. Dort bestaunten wir nicht nur Schillers Nachlass (u. a. seinen Schreibtisch, Socken, Westen, undefinierbare Tücher) - auch viele Kunstwerke von Else Lasker-Schüler fanden sich dort wieder oder Bilder von Rainer Maria Rilke (auf Holzplättchen geklebt, damit sie langlebiger sind), Totenmasken z. B. von Napoleon oder Shampooflaschen. Man fühlte sich den Schriftsteller:innen nahe, nicht, wie man das aus dem Unterricht kennt, wo die gestelzte Sprache und die verwirrenden Gedanken eine Distanz zu den Dichtern und Denkern schaffen. Wir haben auch viel über die Selbstwahrnehmung der Schriftsteller:innen gelernt, beinah alle – egal ob Mann oder Frau – stützen in der „Bedeutsamkeitspose“ ihren Kopf auf ihre Hand, ganz nach dem Motto: „Mein Kopf, vollgestopft mit Gedanken, ist so schwer, ich kann ihn kaum aus eigener Kraft tragen.“ Eigentlich müsste man über den problematischen Hochmut sprechen, aber vor Ort waren wir ziemlich stolz, uns selbst auf die Schulter klopfen zu dürfen. Schließlich haben wir uns mit dem Essay selbst einen Schritt näher an die „Bedeutsamkeitspose“ herangearbeitet.
Viele Dichter und Denker haben wie wir angefangen: Als Schüler. Kafka, zugegeben, war ein ziemlicher Streber, was sein Zeugnis (welches wir wirklich in der Hand hielten!) beweist oder die Ausstellung „Kafkas Echo“, in der riesige Regale aufgestellt sind, mit Lektüren, durch die sich der Musterschüler inspirieren ließ. Es gibt auch viele technische Spielereien.
Im Museum der Moderne sind überall digitale Tische aufgestellt, dort kann man gut erhaltene Quellen und Schriftstücke wie Briefe auflegen, die von dem Bildschirm erkannt werden und zusätzliche Informationen erscheinen lassen. Kafkas Werk „Der Prozess“ kann man sich sogar mit VR-Brillen vorlesen lassen, inklusive Insiderwissen zu jeder Seite! Zu jeder Einzelnen!
Das Museum der Moderne wird seinem Namen mehr als gerecht, von der wahnsinnigen Architektur bis hin zur Technik, die uns in unserer Vorstellungkraft ganz nah an die Schriftsteller führte und uns half, sie auf ihren Reisen zu begleiten.
Wer nun glaubt, dass die einzelnen Tage nach Seminaren, Museumsbesuchen und gutem Essen in unterschiedlichen Restaurants für beendet erklärt wurden, der irrt sich. Unsere Hirnzellen schwebten wegen des ganzen Inputs jeden Tag mindestens bis um zwei, nicht unüblich auch bis um drei Uhr nachts auf imaginären Reisen auf dem Dach des Collegienhauses, wo wir versuchten, uns im Kartenspiel beim „Lügen“ zu erwischen oder wir übten Schwäbisch und diskutierten über Gott und die Welt. Damit sei aber auch gesagt, das Ganze ist nichts für diejenigen, die an Neugier und Interesse schwächeln und so einem schulexternen Austausch nichts abgewinnen können. Sich mit voller Vorstellungskraft auf diese Reise einzulassen, hängt sehr von der Eigenmotivation und von der Gruppenkonstellation ab. Bei meiner Gruppe lief das super: Auf der Rückfahrt weigerten sich manche sogar, an früheren Stationen aus dem ICE auszusteigen (obwohl das die Rückfahrt wesentlich verkürzt hätte), um noch eine letzte Runde „Lügen“ mit unserem Betreuer zu spielen. Viel mehr muss ich wohl gar nicht sagen, um zu beweisen, dass es eine wahnsinnig tolle und spannende Reise war, die sich gelohnt hat, und von der jeder von uns viel mitnimmt.
Bleibt neugierig und traut euch an Neues!
Sophie Holberg (Q2)
letzte Änderung: 2024-11-26 Sophie Holberg/ORLI/GEBH
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